Rapunzel
Du und dein Haar
Rapunzel,
bild‘ dir bloß nichts ein.
Du und dein Haar
– habt die Welt
noch nicht gesehen,
im Turm nur geträumt
weggesperrt von der falschen Mutter.
Du und dein Haar,
so schön, so zart
und lang
lang gewachsen im Turm.
Der Turm ist hoch,
Rapunzel,
und der Fall tief.
Bild dir nichts ein.
Eine alte Idee
Seit mehr als fünf Jahren begleitet mich ein Gedichtzyklus, der immer noch kein Ende gefunden hat. Vielleicht liegt es an der Masse der Vorlagen, an der Zeit, die es braucht, bis aus meinem Eindruck neue Worte wachsen, eine Aussage gewinnen und zu Papier gebracht werden können. Es ist ein Zyklus über Gedichte und als erstes in meinem Dokument steht dieses Gedicht zu Rapunzel.
Es ist die Naivität der Figur, die mich fasziniert hat. Jemand, der ein Leben lang ausgesperrt war, will von einem auf den anderen Tag mitten in der Gesellschaft stehen, ausgestattet mit dem weiblich assoziierten langen Haaren, den wahrscheinlich längsten Haaren der Welt. Die Kombinatorik aus Weiblichkeit ist Naivität ist Ausgeschlossenheit ist Unfähigkeit, am Leben teilzunehmen. Sie hat mich ergriffen, beschäftigt, schon viel länger, als meine Arbeit am Roman Tropfen der Ewigkeit selbst.
Hochmut und der Fall
Rapunzel, das Haar und der Turm – das hatte für mich etwas von Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kommt. Die Ansicht, dass Beobachtung aus der Ferne genüge und die Verlässlichkeit auf die Dinge, die bekannt sind. Nur wissen wir bereits, dass alles, was Rapunzel für „wahr“ hält, eigentlich „falsch“ ist. Ihre „Mutter“ ebenso wie alles, was jene ihr beigebracht hat.
In der Disneyadaption wird Rapunzel mit einer Bratpfanne ausgestattet und schafft es gerade durch ihre freundliche Naivität, selbst die schlimmsten Schurken auf ihre Seite zu ziehen. Das funktioniert für Disney, aber für mich und meinen Roman nicht. „Mein“ Rapunzel musste fallen, ehe sie den Turm verlässt. Valeria geht darum erst einmal einen Schritt zurück. Das zeigt schon ihr Name, der auf den italienischen Ursprung des Märchens verweist und gleichzeitig auf den lateinischen Namen für Rapunzel. (Valerianella locusta = gewöhnlicher Feldsalat)
Entwicklung und Erkenntnis
Eine zu Anfangs höchst naive Protagonistin bringt die Möglichkeit einer großen Entwicklung mit sich, die aber Schritt für Schritt erfolgen muss. Der psychische Fall – die Erkenntnis der Lügen und Unwissenheit in ihrem Leben – erfährt Valeria ehe sie aus dem Turm flieht. Denn hier liegt doch der eigentliche Grund, warum sie überhaupt hinaus will. In der Märchenvorlage ist es die Liebe um Prinzen, bzw. die Schwangerschaft, die daraus resultiert. Aber noch eine Geschichte, in der ausgerechnet ein Prinz das Mädchen aus ihrem Mauseloch – pardon, Turm – herausholt? Nicht mit mir!
Valerias Erkenntnis, zu sich selbst und über ihre Situation ist etwas, das Rapunzel im Märchen nie erreicht. Das wäre für eine Frau um 1634 auch zu viel verlangt gewesen, jedenfalls wenn wir die männlichen Aufschreiber des Märchens danach fragen würden. (Die Jahreszahl gilt für die italienische Vorlage, die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm wurden 1812 das erste Mal herausgegeben – leider sah es da mit der Bedeutung der Frau nur wenig besser aus.) Auch das wollte ich ändern und ließ Valeria einerseits durch Privatunterricht gebildet auftreten, andererseits durch Selbstreflexion sich entwickelnd. Naiv, ja, aber auch fähig zu kombinatorischem Denken und einem starken Willen.
Ein tiefer Fall
Rapunzels Hochmut und ihre Naivität gehen Hand in Hand. Sie ist sich ihrer Unwissenheit nicht bewusst. Darum war es spannend, gerade diesen Punkt anzugreifen und meine Protagonistin die Lücke in ihrer Biografie wie ihrem Lernen selbst erkennen zu lassen. Valeria stürzt, psychisch in ein schwarzes Loch, ein Teil ihrer selbst muss fallen und untergehen. Valeria bildet sich nichts ein, sie erkennt viel mehr und muss vor allem das Bild, das sie von sich selbst hat, revidieren.
Der Turm ist hoch und der Fall tief. Bild dir nichts ein.
Gewinnspiel
Im Rahmen der Blogtour verlose ich heute ein ebook von Tropfen der Ewigkeit (mobi oder epub). Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, keine Plattform (FB, Instagram etc. hat etwas damit zu tun), Teilnahme ab 18 oder mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten. Teilnehmen könnt ihr per Kommentar unter diesem Beitrag bis zum 11.09 – 23:59.
Außerdem könnt ihr an der Challenge zu „Tropfen der Ewigkeit“ teilnehmen und ein signiertes Print plus Überraschung gewinnen. Es gelten die gleichen Bedingungen, die Challenge läuft bis zum 30.09 – 23:59.
Weitere Stationen der Tour:
Winnie Hexs chaotische Bücherregale
hier auf Schreibtrieb
Danke für den Beitrag, ich lese sowas immer gerne. 😊