Am 13.07 erscheint meine Steampunk-Adaption von Rapunzel, „Tropfen der Ewigkeit“, ein Märchen, das wir alle kennen. Oder etwa nicht? Ich nehme den heutigen Beitrag zum Anlass, mit ein paar Vorstellungen aufzuräumen, die sich (vielleicht) mittlerweile in unsere Köpfe geschlichen haben. Vielleicht wird dabei auch klar, warum ich es höchste Zeit fand, Rapunzel aus dem Turm zu lassen. Aber zuerst etwas, das für euch bestimmt wichtig ist oder hiermit wichtig wird: Dies ist eine Station der Märchensommer Märchenrallye von PoiSonPaiNter, den Anfang dieser Runde findet ihr hier. Wo es weitergeht könnt ihr unten bei einer kleinen Frage selbst herausfinden. Folgt den Stationen und sichert euch eine Chance auf tolle Gewinne.
Rapunzel – woher kommt’s?
Dass Wilhelm und Jakob Grimm die Märchen ihrer Sammlung lediglich aufgeschrieben und dabei auch gerne umgeschrieben haben, wissen wir. Die Vorlage von Rapunzel stammt aus Italien. Die Erzählung „Petrosinella“ aus Basiles Sammlung „Penatmeron“ (1634/36). Scheinbar lag den zwei Brüdern außerdem die Version von Joachim Schulz, 1790, das auf „Persinette“ aus dem Jahre 1967 von Charlotte-Rose de Caumont La Forves vor. Vielleicht habt ihr es schon erraten: Petrosinella und Persinette verweisen auf ein ganz anderes Gewächs, das wir alle kennen: Petersilie. Gabriele Uhlmann erklärt, dass Petersiele seit dem Altertum für Tod, Unglück, aber auch Liebe steht.
Schon meine Mutter erklärte mir früher, dass Rapunzel ein anderer Name für Feldsalat sei. Noch heute liebe ich den nussigen Salat und weiß auch, welche Arbeit dahintersteckt, ihn wirklich ordentlich auszuputzen. Wer ganz clever war, hat vielleicht schon herausgefunden, dass meine Protagonistin Valeria nicht nur durch ihr Geburtsland Italien auf den Ursprung des Märchens verweist, sondern mit ihrem Namen auch auf die lateinische Bezeichnung für Feldsalat. Uhlmann aber zeigt auf, dass Rapunzel wohl genauso gut die Bezeichnung einer Glockenblumenart ist und außerdem auf die Teufelskralle verweisen kann. Letztere hat durch ihren Namen bereits einen dämonischen Aspekt und könnte sich natürlich gut in das Märchen lesen lassen.
Keine Krone für Rapunzel ?
Ganz wichtig: Rapunzel war keine Prinzessin. In keiner der Vorlagen und auch nicht in der grimmschen Version wartet eine Krone auf das Mädchen. Sie ist die Tochter von einfachen Menschen, die von ihrem Hinterhaus aus auf den Garten der alten Frau/ Hexe sehen können, der von einer hohen Mauer umgeben ist. Die Frau hat in der Schwangerschaft extreme Gelüste und behauptet, ohne „Rapunzel“ nicht leben zu können. Es ist Verzweiflung, die den Mann dazu treibt, den Diebstahl zu begehen. Das erste Mal kommt er noch davon, beim zweiten Diebeszug muss er der Alten versprechen, ihr das Kind zu bringen. Insofern ist es auch kein Raub, bedenken wir, dass Kinder für Ware im Mittelalter durchaus praktiziert wurde.
Der holde Ausgang des Märchens ist selbst für alle unschuldigen Augen mit Vorsicht zu genießen. Angelockt von ihrem Gesang kommt ein Prinz, findet heraus, wie die alte Frau sich von Rapunzel in den Turm ziehen lässt und erschleicht sich so den Weg in Schlafzimmer der jungen Frau. Gemeinsam schmieden sie einen Fluchtplan, der nur deswegen misslingt, weil Rapunzel sich verplappert. Als Strafe verliert Rapunzel ihre Haare und wird in die Wüste geschickt. Der Prinz aber wird von der Alten beim nächsten Besuch den Turm hinunter in die Dornen gestoßen und verliert sein Augenlicht. Der Gesang ist es, der den Prinzen zu seiner Rapunzel führt, die mittlerweile Zwillinge geboren hat. Ja, auch in der gemäßigten Version wird zumindest uns klar, dass Rapunzel schwanger war, als die Alte sie verstoßen hat und uneheliche Kinder hatte – ein Affront sondergleichen zu jener Zeit. Doch was wäre ein Märchen ohne glückliches Ende? Ihre Tränen heilen seine Augen und sie kann doch noch seine Gemahlin werden. Je, äh.
Das „Original“
Werfen wir mal einen Blick ins Original. Da wird uns zumindest angedeutet, wie genau Rapunzel die Zwillinge empfangen hat. „Rapunzel erschrack nun anfangs, bald aber gefiel ihr der junge König so gut, daß sie mit ihm verabredete, er solle alle Tage kommen und hinaufgezogen werden. So lebten sie lustig und in Freuden eine geraume Zeit“. Lustig und in Freuden ist schon eine ziemlich eindeutige Formulierung für ein Märchen. Die Zeit mit dem Prinzen im Turm wurde wohl doch nicht nur zum Händchenhalten verwendet. Die Schwangerschaft ist es auch, die Rapunzel verrät. Unübersehbar, dass sie ihre Ziehmutter (Frau Gothel = Patin) hintergangen hat, wird sie mit Babybauch aus dem Turm verband.
Ob der Turm nun als tatsächliches Gefängnis oder viel eher als Schutzraum zu deuten ist, kommt auf die Perspektive an. Ob als Phallussymbol oder im krassen Gegensatz als Symbol der Göttin – eines haben diese Deutungen gemeinsam. Immer wird ein Raum gezeigt, der außerhalb der „normalen“ Gesellschaft existiert. Die Frau Gothel muss nicht fürchten, dass Rapunzel von fremden Einflüssen verzogen wird, der Prinz hat keinen Nebenbuhler zu erwarten. Aus dem sicheren Turm kommt Rapunzel in die Wüsterei (ob jetzt Wüste oder Wildnis macht für sie keinen riesen Unterschied), vielleicht nur ein weiterer Hinweis auf das Chaos der restlichen Welt, in der sie mit unehelichen Kindern eine Ausgestoßene ohne Rückzugsort war.
„Mutter“ Gothel
Für mich außerdem interessant war, dass Rapunzel eines der wenigen Märchen ist, dem die Brüder Grimm nicht nachträglich die Mutter zur Stiefmutter gemacht haben. Zwar kann Mutter Gothel als negative Mutterimago der Schwangeren mit den Essgelüsten als weitere Persönlichkeitsebene zur Seite gestellt werden, das ist dann aber eher Interpretationssache als Überarbeitungsergebnis. Im Märchen selbst hat die Ziehmutter auch keinen direkten Nutzen. Sie versteckt das Kind vor der Welt und die Welt vor dem Kind. Hier ist es wieder die Tiefenanalyse, die durchschimmert. Der Alten wurden Rapunzel (die Pflanze) gestohlen, darum verlangt sie Rapunzel (das Mädchen) zurück. Erst beim Blick auf die Pflanze die als Feldsalat wichtige Vitamine und Eisen liefert, als Teufelkralle, wie Uhlmann es andeutet, zumindest ein Wildgemüse war, kann es sich dabei um einen der Gesundheit förderlicher Faktor handeln. Diese Gedanken habe ich mir auch bei „Tropfen der Ewigkeit“ gemacht und im Rahmen des Settings aufgearbeitet.
Die Eltern von Rapunzel trifft sie im grimmschen Märchen übrigens nicht wieder. Hier scheiden sich fast alle heutigen Adaptionen von der Vorlage. Auch bei mir kommen Valerias Eltern noch vor und sind Teil des Handlungsverlaufs. Auch der typische Märchenspruch fällt weg. Ich fand es einfach nicht glaubhaft, dass permanent jemand am Zopf meiner Protagonistin hinaufklettert. Die langen Haare aber gehören für mich zu Rapunzels Markenzeichen dazu und so trägt auch Valeria ihre langen, schwarzen Haare.