Dies ist eine Station der Märchensommer Märchenrallye von PoiSonPaiNter, den Anfang dieser Runde findet ihr hier.
Ich bekam dieses Jahr das Märchen „König Drosselbart“ und meine ersten Gedanken waren „bitte nicht“.
Ausgerechnet. Dieses eine Märchen, zu dem ich ohnehin eine zwiegespaltene Einstellung habe, weil ich die Prinzessin schon als Kind mochte, aber ihre Geschichte mir als Erwachsene regelrecht die Kehle zuschnürt. „König Drosselbart“ ist im Grunde ein perfektes Beispiel für die Unterdrückung der Frau im Patriarchat. [Leider werden im Patriarchat nicht nur Frauen unterdrückt, sondern auch andere, die nicht in die Norm der weißen dya cis abled Mehrheitsgesellschaft mit genug Geld und der gesellschaftlich akzeptierten Religions- und Traditionsgemeinschaft gehören.]
Aber drei Schritte zurück.
Als Kind mochte ich die Prinzessin. Nicht von Anfang an. Auch ich habe gelernt, dass sie eine oberflächliche und gemeine Person sei, die sich über andere lustig macht und Menschen aufgrund von äußerlichen Auffälligkeiten bewertet. Als ich noch klein war, tat sie mir nicht wirklich leid, als sie vom Fenster weg verheiratet wurde und plötzlich keine tausend Bedienstete mehr hatte, sondern den Boden selbst wischen musste. Doch dann kam die Wende. Sie war allein, der aufgezwungene Mann oft unterwegs. Um selbstständig zu sein und Geld zu verdienen, suchte sie verschiedene Möglichkeiten, die allesamt vereitelt wurden. Die Szene auf dem Markt, in der der Reiter alle ihre getöpferten Sachen zerstört, fand ich am schlimmsten. Ich habe als Kind getöpfert, ich wusste, wie viel Arbeit da drin steckt, wie lange es dauert, so gut zu sein, dass glatte Schüsseln und Teller entstehen. Ich habe gesehen, wie die Prinzessin gekämpft hat, wie sie aktiv versucht hat, sich aus ihrer Situation zu befreien. Unter all den Prinzessinnen, die mehr oder weniger warten und gerettet werden, hat sie gelitten, sie hat sich schmutzig gemacht, sie hat gehungert und geschuftet. Märchen zeigen selten soziale und finanzielle Abgründe. Hänsel und Gretel etwa zeigt es, wenn die Kinder aus Verzweiflung ausgesetzt werden. König Drosselbart zeigt es in der Entwicklung der Prinzessin.
Dass sie am Ende den König heiratet, hat mich schon als Kind gewundert.
Er hat sie nicht nur belogen, sondern war der mutmaßliche Antagonist in all ihren Bestrebungen. Jeden ihrer Versuche vereitelt er, noch am Ende führt er sie vor, stellt sie bloß. Die Märchenlogik erklärt, dass sie selbst am Boden liegen muss, ehe er sie rettet. Und spätestens hier sind wir in der Symbolik des Patriarchats angelangt.
Dabei beginnt das Grauen schon viel früher. Die Prinzessin wird den Freiern zu Beginn vorgeführt, sie ist der Preis, das Vieh, um bei einem bekannten Bild der Objektivierung von Menschen zu bleiben. Sie will aber nicht heiratet und sucht Gründe, die Bewerber abzuwehren. Dass sie die Wahl hat, demonstriert das Märchen als falsch und zur Strafe verheiratet der Vater sie mit einem armen Sänger. Nicht nur die aufgezwungene Heirat, auch die damit verbundene soziale Ausgrenzung ist Teil dieses Komplexes. Doch die Prinzessin will sich arrangieren, sie lernt, sie passt sich an. Aus ihrer Perspektive sind die Arbeiten, die sie verrichten muss, entsetzlich, aber sie tut sie. Und sie sucht sich dabei eigene Wege, doch wieder ist es der Mann, der diese Eigenständigkeit ausbremst. Sie darf nicht gewinnen. Er zerstört, was sie schafft und zwingt sie am Ende als Magd ins Schloss, um sie erneut bloßzustellen. Währenddessen erniedrigt er sie auch als ihr Ehemann immer wieder und gibt ihr die Schuld an den Hürden, die er ihr in Verkleidung stellt. Unter diesen Gesichtspunkten, wird sie am Ende nicht glückliche Königin, sondern sie hat wieder keine Wahl.
(K)eine Wahl
„König Drosselbart“ hat viele Begrenzungen für die „Heldin“, die keine sein darf. Sie wird zurechtgestutzt und ihre Wahl gegen den König wird zum Ende nicht nur ins Gegenteil verkehrt, sondern dieser Umstand auch noch als das große Glück ihres Lebens präsentiert. Die Frau hat zu spuren, ihr Leben wird vom Mann bestimmt und eine Wahl hat sie nie. Meine Sympathie mit der Prinzessin hat mit den Jahren also nur noch zugenommen. Ausgerechnet dieses Märchen habe ich in der Märchenrallye bekommen, aus Zufall vielleicht. Und vielleicht habe ich durch das Nachdenken darüber so einige Ideen bekommen. Ausgerechnet.
Rallyefrage:
Wieso nennt die Prinzessin den König Drosselbart Drosselbart?
a) Weil sein Kinn so krumm wie der Schnabel einer Drossel war. – Textgemeinschaft
b) Weil sein Bart so aussah wie der Schnabel einer Drossel. – Diandra Linnemann
c) Weil seine Augen so schwarz wie die einer Drossel waren und er Bart trug. – Märchenspinnerei
Lösungsbuchstabe: O
Muss „leider“ gestehen, dass ich dir das Märchen mit voller Absicht gegeben habe, weil ich mir sicher war, es würde ein so interessanter Beitrag wie dieser hier daraus entstehen. 😀
^^ freut mich, dass er dir gefällt